GEORG FRIEDRICH ZUNDEL
ZUM GEDÄCHTNIS
13. Oktober 1875 — 7. Juni 1948
Wie an dem Tag, der dich der Welt verliehen,
Die Sonne stand zum Gruße der Planeten,
Bist alsobald und fort und fort gediehen
Nach dem Gesetz, wonach du angetreten.
So mußt du sein, dir kannst du nicht entfliehen,
So sagten schon Sibyllen, so Propheten;
Und keine Zeit und keine Macht zerstückelt
Geprägte Form, die lebend sich entwickelt.
Der Maler Georg Friedrich Zundel hat diese Verse zu seinem Grabspruch erwählt. Wenn ich heute, dem Wunsche des Toten folgend, sein Werk der Allgemeinheit zugänglich mache, erscheinen mir diese Worte als Leitspruch für eine kurze Darlegung des geistigen Werdegangs und künstlerischen Schaffens des Dahingegangenen. Von allen Zeitströmungen und äußeren Erfolgen unbeirrt ging Friedrich Zundel seinen Weg. Er hat das Gesetz seines Lebens schon früh, wenn auch noch kaum bewußt, empfunden und stand unter dem «Du mußt» des Dranges zum schöpferischen Gestalten. Friedrich Zundel ist zeitlebens ein Ringender und Suchender gewesen. Dieses unbewußte Suchen trieb den noch nicht Vierzehnjährigen hinaus aus der Geborgenheit des Vaterhauses in Wiernsheim bei Maulbronn, wo seine Familie seit Jahrhunderten als reichsunmittelbares Bauemgeschlecht auf einem größeren, mit einer Brauerei verbundenen Hofe saß. In der Stille dieser ländlichen Umgebung, mit dem Leben eines Bauernhofes eng verwachsen, hat er eine glückliche, wenn auch durch Krankheit und Tod der geliebten Mutter früh schon überschattete Kindheit verlebt. Nach der Konfirmation verläßt er, im Widerstreit mit dem Wunsche des Vaters, der einen Bierbrauer aus ihm machen wollte, das Vaterhaus und geht in einem unbestimmten Freiheitsdrang hinaus in die Welt. Er, der frühe schon Talent zum Malen und Zeichnen bewiesen hatte, findet bald eine Lehrstelle in einem Dekorationsmalergeschäft in dem benachbarten Pforzheim. Es waren harte Jahre. So manche Winternacht saß Friedrich Zundel nach langer und schwerer Tagesarbeit beim Schein einer Kerze, einen Sack über die Knie gezogen, in einer ungeheizten Dachkammer über seinen Büchern, um seine zu früh abgebrochene Schulbildung zu ergänzen. Die Mittel zu diesen Büchern, auf die er bis zuletzt sehr stolz war, verschaffte er sich aus kleinen Trinkgeldern, die er als Lehrling empfing.
Nach der für die Gesellenprüfung vorgeschriebenen Lehrzeit machte er im Frühjahr 1891 gleichzeitig die Gesellen- und Meisterprüfung. Als Dekorationsmaler erarbeitete er sich dann die Mittel für sein weiteres Studium auf der Kunstgewerbeschule in Karlsruhe (Winter 1892 und 1893). Dieser ausgezeichneten Schule verdankte er reiche Förderung. Nach Vollendung seiner kunstgewerblichen Ausbildung nahm ereine Stellung als Vorarbeiter und später als Geschäftsführer in einem großen Dekorationsmalergeschäft in Frankfurt an. Die freie Reichsstadt am Main bot dem jungen, aufgeschlossenen Künstler durch die reichen Sammlungen ihrer Museen viele Anregungen. Auch seine Brotarbeit, die ihm die Mittel für sein weiteres Studium bringen sollte, stellte ihm interessante Aufgaben, so die Ausmalung des Schlosses in Schömberg und eines Sanatoriums in Kissingen. Schließlich bot ihm der kinderlose Geschäftsinhaber die Teilhaberschaft an. Doch Friedrich Zundel hatte andere Ziele. 1894 bezieht er die Akademie in Stuttgart und malt als Aufnahmearbeit den Kopf eines alten Mannes (Katalog Nr. 2). Er durchläuft als Schüler von Professor Grünewald in der Zeichenklasse und von Professor Haug in der Malklasse die Akademie in ungewöhnlich kurzer Zeit. Im 5. Semester ist er bereits Meisterschüler und findet für sein Schaffen die erste Anerkennung. Eine der zahlreichen Studien aus der ersten Akademiezeit ist der Akt eines alten Mannes (Nr. 3). Wo all die anderen Studien geblieben sind, die der Künstler damals veräußerte, ist leider nicht bekannt.
Die Jahre auf der Akademie in Stuttgart waren nicht nur für die künstlerische, sondern auch für die geistige Entwicklung Friedrich Zundels von großer Bedeutung. Die kunstgeschichtlichen Vorlesungen von Professor Lübke und die literaturgeschichtlichen von Professor Weitbrecht gaben ihm reiche Anregung. Ein Kreis gleichgesinnter Studiengenossen zog den bisher so Einsamen in seinen Bann. In jener Zeit wurde das Band einer Lebensfreundschaft mit Felix Hollenberg geknüpft. Später gehörten zu seinem Freundeskreis unsere schwäbischen Maler Otto Reiniger, Hermann Pleuer, Graf Kalckreuth und Hermann Plock.
In diesen Studienjahren auf der Akademie kam Friedrich Zundel erstmals in Berührung mit der Ideenwelt des Sozialismus. Einer Aufforderung ihres Lehrers Weitbrecht folgend besuchten die Schüler der Akademie eine Versammlung August Bebels, dessen Persönlichkeit auf Friedrich Zundel einen großen Eindruck machte.
Die Studien Friedrich Zundels auf der Stuttgarter Akademie fanden 1896 ein vorzeitiges Ende. Aus Solidarität mit seinen Kollegen beteiligte er sich an einem Streik der Kunststudierenden. Durch die Teilnahme an diesem Streik verbaute er sich den Weg zu der ihm in Aussicht gestellten Professur. Mehr als ein Jahr ringt er hart um Anerkennung und Existenz. Es sind die Jahre, da der «Notschrei» (Nr. 6) und das Bild «Müde» (Nr. 8) (1896) entstanden. Es sind die Jahre der Malerei auf dunklem Hintergrund. Doch bald schon wenden sich die Dinge. Auf einer Ausstellung im Herbst 1897 hat der Künstler großen Erfolg mit dem «Notschrei» und er erhält bald auch viele Porträtaufträge.
In diesen Jahren, den letzten des vergangenen Jahrhunderts, ist Friedrich Zundel tiefer in die Ideenwelt des Sozialismus eingedrungen. Er gewann engere, ihn geistig anregende Beziehungen zu den Vorkämpfern dieser Bewegung in Deutschland und im Ausland. Gleichzeitig findet die erste Phase seiner künstlerischen Entwicklung, die sich im «Notschrei» am reinsten verkörpert, einen Abschluß und in der «Tote Jugend» (1898) (Nr. 7) einen zurück und vorwärts weisenden Ausklang.
Eine neue Phase seines Schaffens beginnt: die Zeit der Arbeiterbilder. Am Anfang dieser Entwicklung steht gewissermaßen als Übergang das Bild eines alten Mannes aus dem Stuttgarter Bürgerspital (Nr. 11), von dem Vierundzwanzigjährigen im Jahre 1899 gemalt. Dieser Alte, der gestützt auf seinen Stock vor uns steht, weiß um das Leid der Welt und hat gelernt, es still zu tragen. Ganz anders das Bild des «Schlossers» (Nr. 16). Ein kraftvoller junger Mensch, — aber welche tragische Spannung zwischen den traurig fragenden Augen und den müden, schweren Mechanikerhänden. Dann das Brustbild eines Arbeiters auf hellem Hintergrund (Nr. 14): kräftige Formen ohne jede Problematik, ein Schreiner. Weiter der in sicherer Pinselführung in kürzester Zeit hingeworfene, sehr farbig gemalte Kopf eines alten Mannes, wiederum ein Schreiner (Nr. 12). Koloristisch reizvoll ist das Bild eines Steinbrechers (Nr. 27), der uns mit klugen Augen beobachtend entgegenschaut. Endlich in dem Bild «Streik», der Arbeiter als Revolutionär (Nr. 23). Das ist die Revolution, die kommen wird, wenn wir es nicht anders machen», bemerkte Prinzregent Luitpold von Bayern, als er 1904 vor diesem Bilde stand. Andere Gestalten mehr bäuerlicher Prägung reihen sich an.
Krönung und Ausklang seiner Arbeiterbilder und zugleich Übergang zu einer neuen Entwicklungsstufe ist das große Bild «Die Erde», entstanden in Italien aus der Sehnsucht nach der deutschen Heimat (Nr. 26). Ein Feldarbeiter, der Erde verwurzelt und ihr doch nicht untertan. Fest steht er auf seiner Scholle, den Blick in die Ferne, in die Zukunft gerichtet. Wir denken an die Bauerngestalten eines Millet und messen die Entwicklung, die sich zwischen beiden vollzog. Auch die Parallele zu Meunier ist sehr interessant.
Friedrich Zundel war einer der ersten, der den Arbeiter als Menschen darstellte. Er zeigt uns den von der Arbeitslast körperlich verunstalteten, den müde von der Tagesarbeit heimkehrenden Menschen. Er zeigt uns den Arbeiter, der um seinen Platz an der Sonne fingt und bereit ist, für ihn zu kämpfen. Diese Darstellung des Arbeiters in seinem Ringen um ein besseres Sein wurzelt zum Tiefsten in der ethischen Grundhaltung des Menschen Friedrich Zundel, in seinem Suchen nach einem höheren und reineren Menschentum.
Für sich selbst hat Friedrich Zundel mit seinen Arbeiterbildern und Porträts die Anerkennung als Künstler und die materielle Sicherung seiner Existenz erkämpft. Er fand in den Jahren 1897 bis 1907 auf Ausstellungen in allen größeren Städten Deutschlands und auch in Brüssel und Paris volle Anerkennung seines künstlerischen Wollens und Könnens. Eine Ausstellung in München brachte ihm 1904 einen Ruf an die dortige Akademie. Er ist diesem Rufe nicht gefolgt, obgleich der ihm vertraute Kreis um Adolf Hildebrand und Franz Lenbach ihn lockte. Hatte er schon 1903 der Stadt den Rücken gekehrt, um sich in ländlicher Stille ganz seiner künstlerischen Arbeit zu widmen, so sagt er jetzt dem ganzen «Kunstbetrieb» endgültig Valet. Von 1907 ab hat er keine Ausstellung mehr beschickt.
Wir stehen nun in den Jahren vor dem ersten Weltkrieg. Sie brachten in Friedrich Zundels künstlerischer Entwicklung eine entscheidende Wendung auf malerisch-technischem Gebiet: den Übergang zur Freilichtmalerei. Auch hier ging Friedrich Zundel seinen eigenen Weg. Der Maler der dunklen Hintergründe stellt seine Gestalten, in einem Glashaus arbeitend, ins helle Sonnenlicht. Er ringt um die Meisterung des Lichtproblems und hat es in der Darstellung einer von strahlendem Licht umflossenen Gestalt, der Studie eines Mähers (Nr. 38) auf seine Weise gelöst. Diese Studie ist die naturalistische Vorarbeit für einen großen Entwurf, für die Darstellung eines vom Künstler selbst symbolisch als «Saturn» bezeichneten Mähers (Nr. 40). Die Vollendung dieses von hohem Schwung getragenen Werkes hat der erste Weltkrieg leider verhindert. In derselben Zeit reiften andere große Entwürfe, deren Vision der Künstler seit Jahren in sich trug, zur Gestaltung heran. So entstand im Jahre 1913 die erste Fassung des «Morgen» (Nr. 44) und die erste Skizze zum Ödipus (Nr. 45).
Neben der Figurenmalerei hat den Menschendarsteller Friedrich Zundel naturgemäß die Porträtkunst frühe beschäftigt. Seine ersten Porträtarbeiten gehen in die frühe Jugendzeit zurück. Aus der Karlsruher Zeit stammt ein sehr naiv und wahrhaftig gemaltes Selbstporträt (Nr. 1). Der Künstler offenbart in dieser Jugendarbeit einen der stärksten Wesenszüge seiner Porträtkunst, eine unerbittliche Wahrhaftigkeit. In seine Akademiezeit und die Jahre danach fallen eine Reihe von Porträts, so vor allem die bei einem längeren Aufenthalt in San Remigio entstandenen Bildnisse der kunstverständigen Familie des Marchese Casanova. Diese Bilder sind augenblicklich leider nicht erreichbar. Zeitlich das nächste Werk in Friedrich Zundels Porträtkunst sind die mit besonderer Liebe und Wärme gemalten Bilder der beiden Stiefsöhne erster Ehe (Nr. 4 und 5). Ein sehf schönes Bild seiner ersten Frau, Klara Zetkin, ist leider verschollen. Auf diese frühen Porträts folgen nach dem ersten Weltkrieg eine Reihe von fein charakterisierenden Bildnissen. Technisch besonders interessant ist das alla prima gemalte Bildnis auf hellem Hintergrund (Nr. 52).
Die Ereignisse des Jahres 1914 nahmen Friedrich Zundel den Pinsel aus der Hand. Doch reiften in diesen schweren Zeiten seine späteren Werke in innerem Erleben heran. Herbst 1914 entstand ein neuer aus dem Kfiegserlebnis geborener Entwurf, das «Wehe dir, Jerusalem», das in einer Fassung von 1923 vorliegt (Nr. 56). In ihm schaut der Künstler ahnend voraus, was in unserer Zeit furchtbareWirklichkeit werden sollte. Als Friedrich Zundel nach Kriegsende seine Arbeit wieder aufnahm, zog er sich noch mehr als bisher in die Einsamkeit zurück, um sich vollkommen ungestört seinem Schaffen zu widmen. In der ländlichen Umgebung wird in jener Zeit das bäuerliche Erbe in ihm wieder wach. Er kehrt zurück zur Scholle und wirkt fortan als Künstler und als Bauer. Durch seine universale Begabung hat er auch in seinem zweiten Beruf Hervorragendes geleistet.
Große Liebe und Begabung hatte Friedrich Zundel auch für die Baukunst, und das nicht nur nach der künstlerischen, sondern auch nach der technisch-praktischen Seite. Er baute nicht nur Wohnhäuser mit reichem bildhauerischem Schmuck, sondern auch eine sinnvoll durchdachte Hofanlage im Oberland.
Das erste große Werk. das Friedrich Zundel nach dem Weltkrieg schuf, war Ödipus auf Kolonos (Nr. 58). Dieses nur in Untermalung fertige, wie ein Fresko wirkende Bild stellt den vom Schicksal geschlagenen, unschuldig-schuldigen Ödipus dar, wie er mit seiner Tochter Antigone nach langer, umnachteter Wanderung vor der Heimholung durch die Götter und Erlösung von seinem Leid zum letzten Male Rast hält. Mit dem Ödipus klingt ein Motiv an, das den Künstler wieder und wieder beschäftigte: das Motiv des Duldens und Überwindens.
Aus dem gleichen Gedanken geboren ist der als große Kohlezeichnung vorhandene Entwurf des von Herakles befreiten Prometheus (Nr. 71). Von seltener Tiefe des Ausdrucks ist auf dem Bilde die schon in Untermalung fertige Okeanide, die in fragender Teilnahme auf Prometheus blickt, eine Gestalt, die den Künstler im «Prometheus» des Aeschylos besonders angezogen hat. Prometheus, den Spender des Feuers und Befreier des Menschen vom tierischen Dasein, stellen eine Reihe von trotzigen, an Goethes Jugendgedicht gemahnende Prometheusstudien dar.
Der Entwurf zum Prometheus ist im Jahre 1928 entstanden, zu einer Zeit, da Entwurf auf Entwurf dem schöpferischen Geiste des Künstlers entsprang. Aus diesen Jahren drängender Fruchtbarkeit stammt auch der Entwurf einer Pietå eigenwilliger Prägung, einer Pietå, aus deren Zügen das Leid der ganzen Welt spricht — aber auch die Entschlossenheit, die Idee weiterzutragen, für die der Tote lebte und starb.
Ein Vorwurf, mit dem der Künstler nach seiner eigenen Aussage sein Leben lang gerungen hat, ist die Kreuzigung. Was wir heute in dem großen, in Kohle gezeichneten Entwurf auf der Leinwand sehen (Nr. 72), steht in der Mitte zwischen dem, was der Künstler einst als erste Vision des Kunstwerks geschaut — den zwei kleinen, in schweren, glühenden Farben gehaltenen Skizzen (Nr. 73 a—c) — und der vollendeten Gestaltung dieser Vision im Kunstwerk. An diesem Entwurf können wir die Schaffensweise des Künstlers am klarsten erkennen. Die Idee des Kunstwerks, wie sie in begnadeter Stunde entsprungen, hat in den zwei Farbskizzen erstmals Gestalt gewonnen. Dann wendet sich der Künstler dem Naturstudium für jede einzelne der Figuren zu. Aus diesem Studium hervorgegangen sind zahlreiche Kohlezeichnungen nach dem Modell (Nr. 62—64). Diese einzelnen Zeichnungen erscheinen dann in mehr oder minder abgewandelter Form wieder in der in Kohle auf die Leinwand gezeichneten Gesamtkomposition des Bildes. Dabei ist in der Kreuzigung der Grad, in dem der Künstler die naturalistischen Formen mit seiner Idee erfüllt und vergeistigt, noch recht verschieden. Nicht aus ‚dem Stadium der Studie herausgekommen ist der Kopf des Gekreuzigten. Was der Künstler gewollt, lassen uns die kleinen Farbskizzen ahnen. Daß er den Christus nicht mehr so, wie er ihn schaute, gestalten konnte, war das tragische Schicksal Friedrich Zundels. Wie hat er gelitten, als er in den letzten Monaten seines Lebens, erfüllt von nach Gestaltung drängenden Visionen, aber durch sein Leiden körperlich gefesselt, inmitten seiner unvollendeten Werke saß.
Hätte das Schicksal dem Schaffen Friedrich Zundels nicht vor der Vollendung ein Ende gesetzt, dann wäre das letzte Glied in der Kette seiner Werke der «Morgen» geworden, ein Triptychon, das in einer kleinen Aquarellskizze (Nr. 59) und in durchgearbeiteten Studien in Kohle und Ölmalerei vor uns steht. In diesen Studien hat sich Friedrich Zundel zu einer seltenen Beseelung und Vergeistigung der körperlichen Formen durchgerungen. Antlitz und Körper sind gleichermaßen Träger der Idee des Kunstwerks, während in der antiken Kunst der ‚Körper, in der mittelalterlich-christlichen Kunst das Antlitz sprach. Jene Beseelung der körperlichen Form, die Friedrich Zundel in seinen Kohlezeichnungen erreichte,war nicht das Letzte seines künstlerischen Wollens. Er, der in der Zeit nach dem Weltkrieg sich von der Farbe etwas abgewandt oder zum mindesten die gebrochenen Farben bevorzugt hatte, wie sie der Ödipus auf Kolonos in der Untermalung zeigt, suchte im letzten Jahrzehnt seines Lebens wieder tiefere, leuchtende Farben. Diese leuchtenden Farben zeigen die Skizzen zur Kreuzigung. In ihnen sah er auch zuletzt seinen Ödipus und die Pietå.
Was Friedrich Zundel in dem «Morgen» genannten Bilde gestalten wollte, ist die Zusammenfassung der leitenden Idee seines ganzen künstlerischen Schaffens: es ist die symbolische Darstellung jenes höheren Menschentums, um das er in seiner Kunst gerungen. Er zeigt uns in den Figuren auf den Seitenflügeln des Bildes den Menschen in den Fesseln einer dem Gesetz der Not gehorchenden Welt, da Arbeit Qual und Mutterschaft Leid bedeutet. Die kniende Gestalt schaut in Sehnsucht auf die Offenbarung jenes edelsten und reinsten Menschentums, das in den beiden auf der Höhe dahinschreitenden Gestalten uns erscheint. In diesem letzten Entwurf finden die sozialistischen Ideen derFrühzeit des Künstlers ihre ins Klassische gewandelte Gestaltung.
Friedrich Zundels Werk ist Torso geblieben. Aber aus dem, was er uns hinterlassen
hat, spricht mit ergreifender Eindringlichkeit das Können eines großen Künstlers
und das Ethos einer nach dem Höchsten strebenden Persönlichkeit.
Tübingen-Lustnau (Berghof)
im September 1948
Paula Zundel
GEDÄCHTNISAUSSTELLUNG
FÜR DEN MALER GEORG FRIEDRICH ZUNDEL
1875—1948
Verzeichnis der Werke
1. Selbstbildnis, Öl (44 X 28 cm), um 18922. Alter Mann, Öl (47 x 33 cm), Aufnahmearbeit in die Akademie3. Männlicher Halbakt, Öl (63 x 52 cm), um 1895
4. Bildnis K.Z., Öl (44 x 32 cm), 18975. Bildnis M. Z. , Öl (42 x 33 cm), 18976. Notschrei, Öl (110 X 175 cm), 18977. Tote Jugend, Öl (80 x 226 cm), 18988. Müde, Öl (75 x 95 cm), 18999. Kopf eines alten Mannes, Studie in Öl (49 X 39 cm), 189910. Alter Mann, sitzend, Öl (137 x 105 cm), 189911. Alter Mann, Öl (176 x 77 cm), 190012. Kopf eines alten Schreiners, Öl (45 x 37 cm), 1900
13. Geiger, Öl (183 x 75 cm), 190014. Kopf eines Arbeiters, Öl (50 x 39 cm), um 1900
15. Kopf eines Schlossers, Ölskizze (39 x 33 cm), 190116. Bildnis eines Schlossers, Öl (127 X 68 cm), 190117. Fechter, Öl (188 X 75 cm), 190218. Kopf eines Arbeiters, Öl (40 x 36 cm), um 190219. Schreiner, Öl (71 X 61 cm), um 190220. Landschaftsskizze, Studie zur «Erde», Öl (25 X 28 cm), um 190221. Landschaftsskizze, Studie zur «Erde», Öl (16 X 28 cm), um 190222. Sitzender Arbeiter, Studie in Öl (141 x 105 cm), um 190323. «Streik», Öl (198 x 89 cm), 1903
24. Landschaftsskizze, Öl (31 x 20 cm), um 1903
25. Entwurf zur «Erde», Studie in Öl (44 X 37 cm), um 1903
25 a. Landschaftsskizze, Öl (26 X 43 cm), um 1900
25 b. Landschaftsskizze, Öl (40 x 32 cm), um 1900
25 c. Landschaftsskizze, Öl (24 x 33 cm), um 1900
26. «Die Erde», Öl (235 X 172 cm), 190427. Steinbrecher, Öl (100 x 88 cm), 190428. Junger Bauer, Öl (110 x 51 cm), 190729. Bildnis-Studie P. B. , Öl (41 x 35 cm), 190730. Bildnis-Studie M. B., Öl (40 x 32 cm), 190731. Bildnis P. B. , Öl (108 x 51 cm), 190732. Kopf eines jungen Bauern, Studie in Öl (47 X 43 cm), 190733. Bildnis R. B. , Öl (41 x 32 cm), 190834. Junger Bauer, Öl (189 x 75 cm), 190835. Bildnis M. B. , Öl (90 x 69 cm), 190836. Bildnis R. B. , Öl (116 x 58 cm), 190837. «Am Abend», Öl, unvollendet (189 X 125 cm), um 1910
38. Mäher, Öl (130 x 80 cm), um 191039. Kopf, Studie zum «Mäher», Kohlezeichnung (55 x 42 cm), 191140. Mäher, Öl, unvollendet (193 x 94 cm), um 191141. «Sklave», Öl (35 X 40 cm), 191142. «Sklave», Öl (53 x 49 cm), 191343. «Sklave», Ölstudie (130 x 85 cm), 191344. Erster Entwurf zum «Morgen», Kohlezeichnung, aquarelliert (47,5 x 27 cm), 191345. Studie zum «Ödipus», Kohlezeichnung (38 x 34 cm), 191346. Kopf eines Arbeiters, Öl (43 x 35 cm), 1921
47. «Der Redner», Öl, unvollendet (187 x 71 cm), 192148. Entwurf zum «Ödipus», Kohlezeichnung (46 X 88 cm), 1922
49. Kinderbildnis «Ruth», Öl (36 X 29 cm), 1922
50. Kinderbildnis «Nana», Öl (37 x 28 cm), 1922
51. Kinderbildnis «Dorle», Öl (37 x 27 cm), 1922
52. Bildnis P. B., Öl (44 x 35 cm), 192353. Bildnis Frau A. B. , Öl (38 x 31 cm), 192354. Bildnis M. B. , Öl (114 x 60 cm), 192355. Studienkopf, Kohlezeichnung (60 x 44 cm), 1923
56. Entwurf zu «Wehe dir, Jerusalem!», Kohlezeichnung, aquarelliert (30 X 45 cm), 192357. Bildnis F. P., Öl (36 x 30 cm), 1926
58. «Ödipus auf Kolonos», Öl, unvollendet (190 x 200 cm), um 192659. Entwurf zum «Morgen», Triptychon, Kohlezeichnung, aquarelliert (58 x 70 cm), 192860. Kniender, Studie zum «Morgen», Kohlezeichnung (63 x 46 cm), 192961. «Bannerträger», Kohlezeichnung auf Leinwand (174 x 70 cm), 192962. «Am Kreuz», Kohlezeichnung (67 x 49 cm), 192963. Kauernde, Studie zur Maria der «Kreuzigung», Kohlezeichnung (48 X 63 cm), 193064. «Am Kreuz», Aquarell (34 x 26 cm), 1929
65. Studie zur «Pietå», Kohlezeichnung (108 x 35 cm), 193066. «Der befreite Prometheus», Kohlezeichnung (110 x 69 cm), 1930
67. Studie zur «Antigone», Kohlezeichnung (63 x 48 cm), 1930
68. «Magdalena», Kohlezeichnung (120 x 84 cm), 193169. Bannerträger, Kohlezeichnung (122 x 68 cm), 193070. «Prometheus», Öl (133 X 70 cm), um 193171. «Der befreite Prometheus», Kohlezeichnung auf Leinwand, unvollendet (215 x 155 cm), um 193172. «Am Kreuz», Kohlezeichnung auf Leinwand, unvollendet (205 x 237 cm), 193173 a—c. Entwürfe zur «Kreuzigung», Aquarelle, 1926—2874. «Psyche», Kohlezeichnung (70 X 53 cm), 193075. Studie zum «Morgen», Kohlezeichnung (123 X 67 cm), 193176. «Psyche», Kohlezeichnung (109 X 56 cm), 193277. Aktstudie zur «Pietå», Öl (40 x 178 cm), 1933
78. «Pietå», Kohlezeichnung auf Leinwand, unvollendet (130 x 200 cm), 193479. «Prometheus», Öl (133 x 71 cm), 193380. «Magdalena», Öl (40 x 52 cm), 193481. «Psyche», Öl auf Holztafel (114 X 52 cm), 193682. Studienkopf, Öl (51 x 41 crn), 1939
Die im Katalog aufgeführten Bilder sind nicht alle gehängt
Die Gemälde wurden zum erstenmal im Oktober 1948 in einer Gedächtnisausstellung auf dem Berghof in Lustnau gezeigt